Sabine Schlunk

Kantate für ein Moor

 

 

 Momentan arbeite ich an einer Bodeninstallation, einem abstrahierten Moor. Es ist kreisförmig mit den Händen angelegt und beträgt vier Meter im Durchmesser. Anfänglich gibt es auf dem Moorkreis Wasserflächen, später trocknet es aus und es entstehen Risse, helle Flächen bis hin zu einer aufgerissenen, netzartig aufgeblätterten Landschaft aus sich wölbenden, dünnen, trockenen Plättchen. Es ist dunkel-schokoladenfarbiges Heilmoor, was feucht und pastös aussieht.

Dieses Material lernte ich kürzlich kennen, als es als heilende Packung in 46 Grad auf mein verletztes Knie aufgetragen wurde, nach einem Unfall. Das Knie fühlte sich danach gut durchwärmt, schmerzfrei und beweglich an. Dieses erleichternde Gefühl machte mich neugierig und ich begann über das Phänomen Moor zu forschen. Ich nahm an Moorzeremonien teil und las darüber. Mich begeisterte es, mit den Händen das cremige Material anzufassen. Fasziniert hat mich auch, dass diese tiefe, fast schwarze Farbe ein Ergebnis von abgestorbenen Pflanzen im Wasser ist. Über Jahrtausende sind sie in das Wasser gesunken und verrottet. Diese Spuren der Vergangenheit erinnern an Tod und Vergänglichkeit. Der Morbidität steht nun das Heilende, Lebendige gegenüber.

Smell oft the Mysteries ­_ Geruch der Mysterien

Spannend und inspirierend ist für mich, wie die Moorinstallation entstanden ist, nämlich über die Zusammenarbeit mit der lettischen Künstlerin Guna Millersone, die ich bis da noch nicht kannte. Für die Ausstellung Mycelia wurden wir beide von der Kuratorin durch ein Zufallsprinzip zusammengeführt. In der gemeinsamen Arbeit „Smell of the Mysteries“ gab es die Moorinstallation und darum hingen im Halbkreis angeordnet fünf großflächige abstrakte Malereien von Guna. https://mycelia.jimdosite.com/artists/

Es war überraschend, festzustellen, dass wir es beide lieben, alleine tief in die Natur mit den Wäldern, Pflanzen, Mooren und Tieren einzutauchen. Unbewusst versinken wir dabei gedanklich oft in unsere persönliche Geschichte und der Historie unserer Vorfahren.  Im gegenseitigen Erzählen können wir die Fäden unserer Imagination spinnen lassen. Es ist faszinierend, wie gut das über Altersunterschied, Länder und Zeiten hinweg funktioniert. ­­­­­­­­

So kreuzten sich zwei Welten, zwei Biographien, düster und nebulös wie das Moor.

Situationen aus Vergangenheit, die nicht mehr von Zeitzeugen berichtet werden können und die nirgendwo dokumentiert sind, tauchen verschwommen und mysteriös auf. Es ergeben sich Parallelen zu den verschiedenen Schichten des Moores:

„Im März, April 1945, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges waren deutsche Soldaten in Gunas Mutters Landhaus und zur gleichen Zeit waren amerikanische Soldaten in Sabines Großmutters Bauernaus. Wie ging das alles vor sich? Diese beiden Erlebnisse waren entweder angenehm oder verstörend. In Gunas Fall war es angenehm, es wurde gemeinsam musiziert, geangelt und auf das Ende des Krieges gewartet.  

In Sabines Fall kamen die Soldaten, bewaffnet mit Maschinengewehren „Raus mit Euch in den Wald, die Hühner essen wir, der Hund wird erschossen, die Kuh Monika verjagt“. Sie kamen, um die Deutschland zu befreien, wurden aber von ein paar deutschen Männern aus dem Nachbardorf angegriffen. Eine Granate steckte in meiner Großmutters Haus, sie kam durchs Dach und durch den Kleiderschrank.

Weiterzurückliegend in der Zeit lebten deutsche Menschen schon im Jahre 1237 in Talsi, Livland (Lettland). Angeführt wurden sie von einem Mann aus Sabines Heimat, 1475 km entfernt: Hermann von Salza mit dem Schwertbrüder Orden. Außer den Fakten und Daten ist nicht zu erfahren, wie das wirklich vor sich ging, es ist ein Mysterium. Wie waren die menschlichen Begegnungen dabei? Sind sie mit ihren Schwertern einfach so hereinspaziert: „Hier sind wir, lasst uns Eure Gäste sein!“?

700 Jahre später lebten Gunas Eltern in einer mittelalterlichen Burg aus dieser Zeit. Sabine lebt in ihrer Großmutters Haus am Landgraben, einem mittelalterlichen Grenzwall aus doppelten Gräben und Buchen, der 1554 angelegt wurde.“

Ambivalent fühlen sich die Spuren meiner Geschichte, meiner Verwurzelung an. Es ist für mich angenehmer, noch weiter zurückzudenken, in die Zeit als die Moorlandschaft entstanden ist, als dort lediglich Pflanzen- und Tierwelt vorherrschte.

So entstand die Installation „Smells oft the Mysteries“ Eine geheimnisvolle, eigenartig durchmischte Stimmung der Naturidylle mit geschichtlich mooriger Schaurigkeit. Geräusche einer heißen Sommernacht am Moor lassen die Installation möglicherweise als einen mystischen Ort erspüren. Die „Kantate für ein Moor“ bekommt improvisierten Akkordeonklang hinzugefügt.

Sabine Schlunk

In Sabine Schlunk’s Installationen finden sich subtil Aspekte ihrer Lebens-Erfahrungen wieder. Die Verstofflichung von psychologischen Situationen steht im Fokus ihrer Arbeit. Viele Materialien sind aus der Natur entnommen und werden mit synthetischen Objekten konfrontiert. Darin finden sich Steine, Erde, Sand, Pflanzen, Wasser, Federn versus Kunststoff, Glas, Papier, Textilien. Häufig kommen Geräusch, Licht, Geruch oder Text in ihren Arbeiten zum Einsatz.

Schlunk studierte an der Universität der Künste in Berlin, wo sie elf Jahre lebte, bevor sie sieben Jahre in den Südstaaten der USA ein Kunstzentrum leitete, zahlreiche Ausstellungen machte und an zwei Universitäten Kunst unterrichtete. Heute lebt sie in München und arbeitet regelmäßig in dem Bauernhof, den ihre Großeltern gebaut haben, wo sie ihre frühe Kindheit verbrachte. Der Konflikt von Fernweh und Heimweh spielt in ihren Arbeiten eine wichtige Rolle und dabei ist die Verbindung zur elementaren Natur eine mögliche Lösung.

In Sabine Schlunk’s installations subtle aspects of her life experiences can be found. The materialization of psychological situations is the focus of her work. Many materials are taken from nature and are confronted with synthetic objects. These include stones, earth, sand, plants, water, feathers versus plastic, glass, paper, textiles. Sound, light, smell or text are often used in her works.

Schlunk studied at the University of the Arts in Berlin, where she lived for eleven years, before spending seven years running an art center in the South of the USA, making numerous exhibitions and teaching art at two universities. Today she lives in Munich and works regularly at country house her grandparents built where she spent her early childhood. The conflict between wanderlust and homesickness plays an important role in her work and the connection to elementary nature is a possible solution.

www.sabineschlunk.com