Katrin Petroschkat

Entwendete Wände und Behausungen

 

Ein Specht hat ein Loch in die Fassade des gegenüberliegenden Hauses geschlagen. Wo vorher nur Vordergründigkeit war, tritt ein Dazwischen auf und dann ein Dahinter. Aus einer Fläche entsteht ein Raum, ein Platz zum Brüten oder Schlafen. Der Specht entwendet die Wand des Hauses. Von außen sieht man nur ein Loch. In der Syntax des Waldes bedeutet dies Behausung, Bedrohung oder gefundenes Fressen.

Während ich an diesem Konzept schreibe und über entwendete Wände und das produktive Potenzial von Zerfall und Verwesung nachdenke, überrascht mich eine Wespe und baut auf meinem Balkon meine Arbeit BEHAUSUNG von 2009 im Maßstab 1:12 nach. Nun ja, sie baut ein Wespennest: eine kleine Kugel mit einem Loch aus Holzfasern und Wespenspucke.

BEHAUSUNG war die vergrößerte Nachbildung eines Wespennests, beziehungsweise der innersten Brutkammer eines Wespennests. Ich erinnere mich an die Kugel mit einem Loch, die über Nacht über meinem Bett entstand und mich morgens wie ein Auge anblickte. Der Anfang eines Wespennests. Gebälk wurde zu Nest, mein Haus zu dem einer königlichen Anderen, das ich dann wiederum vergrößert nachbaute.

Ich wollte über Zerfall und Verwesung nachdenken: im verrottenden Holz wird das Lignin von Weißfäulnis-Pilzen abgebaut. Die jetzt weichen Holzfasern können zum Beispiel wunderbar mit Wespenscheren gelöst werden. Die Verwesung oder Fäulnis („putrefaction“) hat ein „produktives Potenzial“ wie es Reza Negarestani in Anlehnung an den mittelalterlichen Heinrich von Langenstein nennt.(1) Dieser dachte, dass sich in der Verwesung auch die Grenzen der Spezies auflösten und ein Pferd zu einem Hund werden könnte. Im Fall der Wespe wird meine Behausung zu ihrer, Holz zu Heim, Baum zu Baumarkt.

Es ist aber auch eine semantische Transformation von Heim zu Auge und Auge zu Objekt. Eine Form von „trans-species pidgin“. (2) Zudem könnte man meine Geste als Entwendung oder rigide Appropriation interpretieren. So oder so bleibt es ein unvollständiges Bauwerk. Konserviert im Anfang, denn ich musste das Bauprojekt der Wespe auf meinem Balkon im Frühstadium abbrechen, genau wie damals das Wespen-Bauprojekt über meinem Bett. Abbruch der Verhandlungen, Gewinn des territorialen Konflikts und Durchsetzung meiner Interpretation der Welt. Für dieses Mal.

Katrin Petroschkat

www.katpetroschkat.net