Helena Rossner

Modulation

 

Die Gegensätzlichkeit der Dinge und die ewige Sehnsucht nach ihrer Aufhebung und des damit einhergehenden universalen und letztlich utopischen Zustands ist seit langem Thema meiner verschiedenen Bildserien.

Das Leben besteht aus Gegensätzen (man denke nur an die ewige Kehrseite der Medaille), warum sollte das in der Malerei anders sein? Als ich anfing, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, hatte ich zwei gegensätzliche Strömungen der abstrakten Kunst vor Augen: die Informelle und die Konkrete. Ich wollte diese beiden – oder wenigstens Teile davon – zusammenführen.

Die Dialektik als die Lehre von den Gegensätzen und ihrer Aufhebung hat viele Väter (und entsprechend viele Kinder). Ohne philosophischen Überbau, ganz entschlackt aufgefasst: ja, nein + sowohl als auch. Anders gesagt: These, Antithese und Synthese. Und wenn man nun unter Synthese die Verknüpfung zweier Bestandteile zu neuer Einheit, Theorie und Erkenntnis versteht, dann ist mehr Einheit in unserer Dingwelt vielleicht nicht möglich.

Zugegeben: Es ist eine von mir gemachte Unterstellung, dass wir uns alle nach dem Unzertrennt-Sein sehnen…

Die bildeigenen Mittel Farbe und Form und ihre wechselseitige Beeinflussung stehen im Mittelpunkt meines Interesses.

Der erste Schritt bei der Entstehung eines Bildes ist dabei sozusagen die These: frei, fließend, spontan, intuitiv, emotional, reagierend, zufällig, unregelmäßig, ungeordnet, malerisch, gestisch…

Die Wahl und Setzung der geometrischen Flächen ist die darauf folgende Antithese: messbar, geometrisch, geplant, rational, agierend, regelmäßig, geordnet, grafisch… Im Entstehungsprozess stellt sich die Frage nach der bildnerischen Abhängigkeit dieser Gegensätze, dieser zwei „Systeme“, nach ihrer wechselseitigen Beeinflussung und wie weit diese sich zu einem neuen Ganzen verschmelzen lassen.

Eine oder mehrere geometrische Formen (die sich wiederum aufeinander beziehen) „organisieren“ das Bild neu, indem sie neue Bezugsgrößen schaffen. Gleichzeitig erhält die Form ihre Bedeutung durch ihren Umraum und auch dieser profitiert: Manches wird erst durch den direkten Vergleich als solches in seiner Qualität wahrnehmbar.

Modulation im Sinne von den Ausdruck abwandeln, gestalten und verändern trifft auf These und Antithese gleichermaßen zu. Sowohl die geometrische(n) Form(en), als auch das zugrundeliegende, gegensätzliche Bildsystem (das weit mehr ist, als reiner Untergrund), also zwei Zustände, die sich in Qualität und Charakter unterscheiden, beeinflussen und modulieren sich über Farbe und Form wechselseitig und führen so die Synthese herbei.

Auch die Bildaussage erfährt eine Wandlung: Weder These noch Antithese können sich alleinig behaupten und diese für sich in Anspruch nehmen. Nun gibt es ein Nebeneinander. Oder ein Miteinander. In jedem Fall jedoch etwas, dass ohne eines der beiden nicht denkbar wäre.

Helena Rossner

Helena Rossner wurde 1978 in Singen am Hohentwiel geboren. Sie studierte von 1999-2005 Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und schloss 2005 mit dem Diplom ab. Sie lebt und arbeitet seit 2009 in München.

www.helenarossner.de